Leben in Künsebeck / Historie
Gepostet in Wichtige Projekte von pbadmin am 23. September 2018


In einer 1952 nachgezeichneten Karte, die den Gebäudebestand Künsebecks von 1824 zeigt, ist die Unter Mühle noch das einzige Gebäude auf der Südseite der heutigen Talstraße. Die Haller Willem-Bahnlinie ist noch nicht erkennbar, sie wurde erst 1886 eröffnet.
Wann die Untere Mühle, heute Talstraße 10, entstand, ist nicht mehr bekannt. Sicher ist nur, dass sie vor 1824 errichtet wurde. Denn in diesem Jahr zeichneten Landvermesser die Mühle als einziges Gebäude auf der Südseite der heutigen Talstraße in ihre Karte ein. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde anfangs darin Leinöl hergestellt, denn nur einen Steinwurf entfernt stand die Westfälische Flachsröste. Betrieben wurde die Ölmühle vermutlich nur rund 50 Jahre. Denn ab 1875 machten billige Importprodukte die Ölherstellung in Westfalen unwirtschaftlich.
Anfang des 20. Jahrhunderts trug dieses Gebäude die Adresse „Künsebeck 94“ und wurde zur Betriebsstätte der Gerberei E. G. Lohmann, später Lederfabrik & Pelzzurichterei H. Lohmann & Co.
Auf drei Etagen wurden von bis zu zwölf Mitarbeitern Tierhäute gesäubert, gegerbt, getrocknet und gelagert. Der Antrieb der Transmission wurde um 1908 von Wasserkraft auf Dampfkessel umgestellt. Dafür entstand an der Südostecke ein heute nicht mehr vorhandenes Kesselhaus, das 1933 um einen höheren Schornstein ergänzt wurde. Die Lohgerberei wurde Mitte der 1950er-Jahre aufgegeben, als viele größere Betriebe von der biologischen auf die chemische Gerbung der Tierhäute umstellten. Das lange zum Gebäude gehörende Recht zur energetischen Nutzung des Künsebecker Bachs gab der damalige Besitzer im Jahr 1967 zurück.
-
-
In den 1960er-Jahren soll das zwischenzeitlich zu Wohnzwecken umgebaute Fabrikgebäude für kurze Zeit Produktionsstätte des revolutionären „Fernsehballs“ gewesen sein: Den aus 32 schwarzen und weißen Lederwaben zusammengenähten Fußball hatte der Steinhagener Sattlermeister Otto Bierstedt erfunden, weil die zuvor einfarbigen Bälle bei den ersten Schwarz-Weiß-Fernsehübertragungen von Spielen schlecht zu erkennen waren. 1962 musste Bierstedt aufgrund der großen Nachfrage die Produktion nach Künsebeck verlegen, wo viele Frauen das Leder schnitten und die gefragten Fußbälle zusammennähten. Ob Bierstedts damalige Werbe-Ikone Uwe Seeler – immerhin weltbester Mittelfeldspieler seiner Zeit – auch in Künsebeck vorbeischaute, ist jedoch nicht überliefert.
Seither wird das im Volksmund „Untere Mühle“ genannte Gebäude überwiegend als Wohnhaus genutzt. Zudem beherbergt es das in internationalen Fachkreisen bekannte theologisch-wissenschaftliche Antiquariat Lohmann, das in den 1950er-Jahren von dem letzten Gerbereibesitzer gegründet wurde. Seit 1975 lautet die Adresse Talstraße 10. Besitzer des Hauses ist seit 2013 der Haller Kaufmann Joachim Kummrow.
Hintergrund: Molner to Kunßbecke
Mühlen am Künsebecker Bach gehören zu den ältesten Gebäuden von Künsebeck. Die älteste – auf dem Hof Künsemöller - wurde zum ersten Mal am 25. September 1535 in einem Steuerzahlerverzeichnis des damaligen Vogts der Vogtei Halle, Hermann Welman, erwähnt. „De Molner“ (der Müller) musste dereinst jährlich 2 Gulden und 16 Schillinge an den Landesherrn zahlen. Damit war er fünftgrößter Steuerzahler der „Burschuf Kunsebecke“ (Bauernschaft). 21 Jahre später – im Jahr 1556 – findet die älteste der Künsebecker Mühlen als „Molner to Kunßbecke“ Aufnahme in das Ravensberger Urbar, das erste Grundkataster der Grafschaft Ravensberg. Die hier gemeinte Mühle ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die „Obere Mühle“, nah am Hof Künsemöller.